2011
Helene Appel
Ausstellungsansichten
Fotos: Sascha Engel
Die Trägerin des Goslarer Kaiserringstipendiums 2011 heißt Helene Appel. Die Künstlerin, 1976 in Karlsruhe geboren, hat in Hamburg an der Hochschule für bildende Künste und am Londoner Royal College of Art studiert. Sie lebt und arbeitet heute als Malerin in Berlin.
Helene Appel erhält die Goslarer Auszeichnung für ihre ebenso meisterhafte wie reflektierte Malerei. Die Künstlerin malt unspektakuläre Dinge des Alltags in spektakulärer Weise. So sehen wir mit neuen Augen, was wir in der Regel gar nicht sehen oder übersehen. Appel bringt Zwiebelstücke, Lauchringe, Salatblätter und Reiskörner auf die Leinwand oder Klebestreifen, Zweige, Fischernetze und Pfützen. Dabei malt sie diese einerseits augentäuschend präzise, als wolle sie den großen Trompe l‘ oeil Malern der Kunstgeschichte Konkurrenz machen, andererseits so künstlich, dass man in keiner Sekunde vergisst, ein gemaltes Bild vor sich zu haben. Appels Absicht ist nicht, unser Auge mit dem schönen Schein der Dinge zu betrügen, sondern sie in eine malerische Aura zu tauchen. Erst dort gewinnen die Dinge ihre spezifische Sichtbarkeit und eigene Wirklichkeit.
Was die junge Künstlerin in ihren Bildern inszeniert, ist ein gekonntes Spiel von Täuschung und Ent-Täuschung. Wenn sie ihren Malgrund unbehandelt lässt und die Bildfigur auf der Leinwand völlig frei stellt, lässt sie keinen Zweifel am Artefaktcharakter ihrer Werke. Zwar sehen ihre verdrehten Klebestreifen, grünen Salatblätter oder filigranen Fischernetze so realistisch aus, als habe die Künstlerin sie als Readymades der Wirklichkeit entnommen und auf die Leinwand gelegt. Aber zugleich erinnern ihre Bilder auch an gestische Malerei. Erst in einer bestimmten Entfernung zum Werk wird ein schwarzer Strich zum Zweig, ein brauner Fleck zur Pfütze. In diesem ambivalenten Schwanken zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion liegt ein hoher Reiz der Bilder der Künstlerin.
Appel malt ihre Gegenstände aus der Draufsicht und im wirklichkeitsgetreuen Maßstab. Dennoch hat der Betrachter den Eindruck, sie studiere sie dabei wie ein Wissenschaftler, der durch ein Mikroskop auf eine unbekannte Spezies schaut. Durch diesen Blick baut sich in ihren Bildern eine Spannung auf zwischen dem Eindruck von etwas Fremdem und zugleich Vertrautem. Sie überträgt sich auf den Betrachter. Die Ansammlung weißer Reiskörner, das Inventar fragiler Zweige, das geometrische Muster der Netze, sie alle erscheinen wie eine unbekannte Welt. Dabei löst sich Helene Appels Repräsentation von Alltagsgegenständen völlig von derherkömmlichen Tradition des Stilllebens und seiner Symbolik. Man denkt bei der Betrachtung ihrer Bilder eher an das schöne Wort von Karl Kraus: „Je näher man ein Wort (hier: ein Bild) anschaut, desto ferner blickt es zurück.“
Michael Stoeber
Ausstellungseröffnung
Fotos: Sascha Engel
Künstlergespräch
Fotos: Sascha Engel
Das Goslarer Kaiserring-Stipendium wird großzügig gefördert von der Stiftung Niedersächsischer Volksbanken und Raiffeisenbanken und der Volksbank Nordharz eG