2014

Wiebke Siem

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Wiebke Siem mit Oberbürgermeister Dr. Oliver Junk
Foto: Uwe Epping, Goslar

Jurybegründung

Von Penelope Curtis, Dezember 2013
Übersetzung Michael Stoeber

Wiebke Siem ist gleichermaßen eine sehr menschliche und sehr intellektuelle Künstlerin. Oft gehen wir von der Annahme aus, dies sei ein Gegensatz, besonders bei einem Künstler. Siem stellt Objekte von Hand her und verwendet dabei vertraute Formen und alltägliche Materialien. Dabei arbeitet sie mit der großen Tradition der Moderne, die vor allem in Deutschland unsere Vorstellungen von der Bildhauerkunst grundlegend verändert hat.

Siem fertigt einzelne, serielle und bühnenbildähnliche Skulpturen, die häufig eine Erzählung andeuten, das heißt, deren Beginn oder deren Ende. Ihre uns an Theaterrequisiten erinnernden Schuhe, Perücken, Kleidung und Möbel beschwören Assoziationen an Bühnenbilder. Frühere Werke wirken dagegen weitaus distanzierter und lassen eher an ein Museum oder einen Laden als an eine Bühne denken. Das narrative Element ist erst neuerdings stärker in den Vordergrund getreten. Ihm eignet ein latenter Gewaltcharakter.

Siems Skulpturen haben eine enorme Aura oder Präsenz. Trotz ihres uns zum Teil vertrauten Charakters, machen sie sehr klar, dass sie Kunst sind. Objekte, über die wir nur staunen können. Ihre Kraft liegt darin, dass sie unterschiedliche Sprachen mischen: das Vertraute und das Unvertraute, das Bekannte und das Unbekannte. Sie sind zutiefst unheimlich.

Mit den Werken, die sie seit mehr als dreißig Jahre herstellt, und durch ihre Lehrtätigkeit in Hamburg, ist Siem zum Vorbild für eine ganze Studentengeneration geworden. Darüber hinaus hat sie einer breiten Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass es für einen Künstler immer noch möglich ist, konsequent seiner Arbeit nachzugehen, dabei zugleich privat und öffentlich zu wirken, innovativ zu sein und sich an der Tradition zu orientieren. Siem ist in ihrer Kunst nie Kompromisse eingegangen, weder in der Ausführung noch den Zielen. Ihre Leistung besteht darin, in einer Zeit der Entmaterialisierung neue Objekte zu schaffen, die zu uns sprechen und dabei die Vergangenheit und die Zukunft im Auge haben.

Die Vergangenheit ist eine, die wir alle mehr oder weniger miteinander teilen. Sie spricht vom Verlust Mitteleuropas, des Handwerks, der Familie und der Heimat. Für die Zukunft gilt die Hoffnung, dass künstlerisches Schaffen und das Wiedererfinden der Welt durch dieses Tun noch eine Rolle spielen, um unsere Imagination am Leben zu erhalten und unser inneres Selbst darzustellen.

Für die Zukunft gilt die Hoffnung, dass künstlerisches Schaffen und das Wiedererfinden der Welt durch dieses Tun noch eine Rolle spielen um unsere Imagination am Leben zu erhalten und unser inneres Selbst darzustellen.

Wiebke Siem

Die 1954 in Kiel geborene Künstlerin studierte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. In den 90er Jahren wurde sie mit Werkgruppen bekannt, in denen sie Alltagsgegenstände wie Kleidung und Spielzeug, Perücken, Hüte oder Taschen in überdimensionierte abstrakte Objekte aus Holz oder Stoff übersetzte und verfremdete. In späteren Arbeiten griff Siem oft auf Kindheitseindrücke zurück. Sie hinterfragt gesellschaftliche Rollenbilder, während sie gleichzeitig Bezug auf die Kunstgeschichte nimmt. Siems Werke wurden national und international ausgestellt, u.a. im Guggenheim Museum, New York, im Henry Moore Institute, Leeds oder in der Kunsthalle Hamburg. 2009 zeigte das Neue Museum Nürnberg Siems Arbeiten in einer umfangreichen Schau („Die Fälscherin“). 2013/14 erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia.