Jurybegründung 2016

Jimmie Durham

Skulpturen, Installationen, Malerei, Zeichnungen, Performances, Videos und Fotografien: Das Oeuvre von Jimmie Durham ist vielgestaltig und resultiert oft aus diesem Prozess der Zusammenstellung und der Gegenüberstellung von Werkstoffen/Rohstoffen oder gefundenen Objekten. Geschaffen aus natürlichen oder gefertigten Materialien, aus Überresten oder Abfällen funktionieren seine Werke durch unerwartete Annäherungen, eine Umwandlung des Realen erfolgt mit Scharfsinn/Weitsichtigkeit und Humor. Jimmie Durhams Werk kann keiner künstlerischen Bewegung zugeordnet werden. Es geht über vorhandene Kategorien/ Klassifizierungen hinaus und trachtet danach, einem jeglichen hierarchischen System zu entfliehen/ zu entschlüpfen, verbunden mit der permanenten Forderung nach Freiheit. Es ist besonders diese Einzigartigkeit, die einerseits auf einer großen Herausforderung gegenüber sich selbst basiert und einer poetischen Herangehensweise/ Kontakt zur Welt, was  Jimmie Durham die Kontinuität der Künstler fortsetzen lässt, die mit dem Preis aus Goslar bereits geehrt wurden.

1940 in den Vereinigten Staaten geboren, profiliert sich Jimmie Durham in den 1970er und 1980er Jahren als historischer Kämpfer für die Sache der Indianer und deren Zivilrechte. Sein künstlerisches Schaffen zielt ab auf eine Suche nach Identität, getragen von der Kritik am Imperialismus und der Segregation. Im Jahre 1994, nach seinem Umzug nach Europa (das er Eurasien nennt), unternimmt er in einer allgemeineren und weniger autobiographischen Perspektive eine kritische Annäherung an die Systeme der Kenntnisse und der ideologischen Rahmen, die unser Verhältnis zur Welt strukturieren und darstellen. Durham interessiert sich nun für die Beziehung zwischen dem Gebauten in Form von Architektur auf monumentaler Ebene und dem hierarchischen System des Staates, in dessen Namen der Architekt die Macht innehat, eine Stadt zu bauen oder zu zerstören, und somit das Leben der Bürger zu bestimmen. Als Metaphern einer Anfechtung/ Infragestellung erscheinen immer wieder Steine in Jimmie Durhams Arbeiten, mal als Objekte, mal als Werkzeuge.

Die Beziehung, die Jimmie Durham zur Welt unterhält, die ihn umgibt, ist sehr persönlich. Auf natürliche Weise eignet er sich an, was uns ethnisch weit entfernt scheint, und lässt uns das fremd erscheinen, was uns vertraut ist. Er gesteht ein: „Wenn sich ein Stück Holz sehe, den Schädel eines Hundes, eine Plastikflasche, dann fühle ich, dass es da eine Verbindung gibt. Jeder dieser Gegenstände hat eine politische und materielle Geschichte, die ähnlich meiner eigenen ist“. Er versucht die „Herkunft“ und den Kontext wieder herzustellen, in dem jedes Objekt sich hat entwickeln können, bevor es aus künstlerisches Material „gewählt“ wurde; Durham lässt sich vom Zufälligen und Diskontinuierlichen leiten, die jeder Existenz zu eigen sind. Koinzidenzen und Zufällen gegenüber, die an der Bildung einer Identität teilhaben, sehr aufmerksam, kreiert er unerwartete Assoziationen, bei denen jede ein Fragment persönlicher und kollektiver Geschichte beiträgt. Jimmie Durham lässt die Dinge kommen, er ergreift sie, weil sie gleichzeitig etwas Essentielles und den Moment ergreifendes/Spontanes, etwas Solides und etwas Fragiles, haben. Er ordnet sie anders an, und vermittelt denen, die sie anschauen, eine neue Fragestellung. In der performativen Dimension seines Werkes ermöglicht ihm der Rückgriff auf Haushaltsgegenstände  (Kühlschrank, Tisch, Telefon …) mit großer Unmittelbarkeit, mit einer bestimmten Brutalität die erprobte ästhetische Ordnung zu hinterfragen. Sensibel gegenüber Sprache integriert der Künstler in seinen Arbeiten einfache  Worte, die durch ihren Klang und ihren verzögerte/versetzten Einsatz von Beschriftung/Inschriften, am Aufbau des Werkes teilhaben, indem sie deren anschauliche/vielsagende Kraft verstärken.